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Der weisungsgebundene Staatsanwalt

Von Norbert Schlepp*, Porta Westfalica

geschichtlicher Hintergrund

Strafen sind so alt, wie die Menschheit selber. Schon immer haben es die Menschen verstanden,  ihre Mitmenschen zu bestrafen. Die Existenz eines Staatsanwaltes ist jedoch jüngeren Datums. Über viele Jahrhunderte hindurch wurde der Strafprozess vom Inquisitionsgrundsatz beherrscht. Der Strafrichter führte die Untersuchungen selber, erhob Anklage und fällte gleichzeitig auch das Urteil. Erstmals in der Französischen Revolution setzte sich der Gedanke durch, dass ein Richter, der einen Tatverdächtigen ermittelte, nicht unbefangen über die Frage entscheiden konnte, ob der von ihm Verdächtigte auch tatsächlich der Schuldige war. Es wurde deshalb eine vom Gericht unabhängige Einrichtung geschaffen, die die Untersuchungen eines Kriminalfalles führte und die Anklage erhob. Dies war die Geburtsstunde des Staatsanwaltes.

Der Gedanke der Französischen Revolution schwappte nach Deutschland über. Die Demokratisierungsbestrebungen des Jahres 1848 machten auch vor dem Strafprozess nicht halt. Forderungen nach einer Öffentlichkeit des Strafverfahrens, nach Beteiligung von Laienrichtern und nach einer Mitwirkung eines Staatsanwaltes ließen sich nicht mehr zurückdrängen. Die Stellung des Staatsanwaltes im Strafprozess, die uns heute selbstverständlich erscheint, ist das Ergebnis blutiger Auseinandersetzungen in den Freiheitskriegen, für die viele Kämpfer für eine bessere Demokratie ihr Leben ließen.

Heute ist der Staatsanwalt aus dem Strafverfahren nicht mehr wegzudenken. Er steht am Anfang und am Ende eines jeden Strafverfahrens. Jedes Strafverfahren beginnt mit dem Ermittlungsverfahren und darin kommt dem Staatsanwalt eine überragende Stellung zu. Nach § 160 StPO entscheidet er bei Verdacht einer Straftat darüber, wie der Sachverhalt zu erforschen ist, er entscheidet darüber, ob öffentliche Anklage erhoben wird oder ob die Ermittlungen eingestellt werden, ihm allein obliegt das Anklagemonopol. In der Hauptverhandlung vertritt er die Anklage, wirkt durch eine Fülle von Einzelmaßnahmen auf den Ablauf der Gerichtsverhandlung und damit auf die Urteilsfindung ein und im Falle einer Verurteilung obliegt dem Staatsanwalt die Strafvollstreckung (§ 451 StPO). Im Ermittlungsverfahren kann er sich der Mithilfe des gesamten Polizeiapparates und aller anderen Behörden bedienen, wobei die Polizei nicht nur – wie jede andere Behörde - Amtshilfe zu leisten hat, zahlreiche Polizeibeamten sind auch als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft seinen direkten Weisungen unterworfen und dürfen in dieser Eigenschaft Straftaten selbsttätig untersuchen (§§ 161, 163 StPO).

Bei einem mit solcher Machtfülle ausgestatteten Staatsanwalt stellt sich die Frage seiner Bindung oder Unabhängigkeit.


Unabhängigkeit gegenüber dem Gericht

Der Blick auf die Historie und die Gründe, die zur Schaffung der Staatsanwaltschaften geführt haben, zwingt zu dem Schluss, dass der Staatsanwalt gegenüber dem Gericht unabhängig sein muss. Wenn der Sinn und Zweck der Einführung der Staatsanwaltschaft darin bestand, dem Richter die Ermittlungen aus der Hand zu nehmen, damit er letztlich unparteilicher entscheiden kann, dann kann der Staatsanwalt nicht den Weisungen des Gerichtes unterliegen. Wäre das anders, könnte der Richter gleich wieder selber die Ermittlungen übernehmen und man bräuchte den Staatsanwalt nicht. Das ist gerade nicht gewollt. Damit beantwortet sich die berühmte Frage, die auf jeden Jurastudenten einmal zukommt,

In der Hauptverhandlung lehnt der Verteidiger den Staatsanwalt als befangen ab. Wer entscheidet über den Befangenheitsantrag?

 

wie von selbst: Natürlich nicht das Gericht, denn das ist gegenüber dem Staatsanwalt nicht weisungsberechtigt.

 
Ich will nicht verschweigen, dass es auch im Ermittlungsverfahren diverse Situationen gibt, in denen das Gericht in die Ermittlungen eingreift und der Staatsanwalt seine Rolle als Herr des Ermittlungsverfahrens vorübergehend einbüßt, z. B. bei allen freiheitsentziehenden Maßnahmen, wie z. B. bei einem Haftbefehl, oder bei Durchsuchungen oder Beschlagnahmen oder – was leider immer häufiger vorkommt – bei Einschränkungen des Postgeheimnisses oder des freien Telefonverkehrs. All diese Maßnahmen dürfen im wohlverstandenen Interesse des Beschuldigten nur durch das Gericht angeordnet werden, was aber nichts an der grundsätzlichen Erkenntnis ändert, dass der Staatsanwalt gegenüber dem Gericht unabhängig ist.

 

Unabhängigkeit gegenüber dem Staat

Das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) bringt es an den Tag. In § 141 GVG heißt es schlicht: Bei jedem Gericht soll eine Staatsanwaltschaft bestehen. Eine Staatsanwaltschaft ist eine Behörde und der Staatsanwalt ist nur ein Mitglied dieser Behörde. In den folgenden Normen spricht das GVG dann auch folgerichtig von den Beamten der Staatsanwaltschaft. Beamte sind – wie wir alle wissen – weisungsgebunden. § 146 GVG hebt das noch einmal ausdrücklich hervor, in dem es heißt,

Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen.

 
Noch krasser bringt § 144 GVG die Weisungsgebundenheit auf den Punkt. Dort heißt es:

 
Besteht die Staatsanwaltschaft aus mehreren Beamten, so handeln die dem ersten Beamten beigeordneten Beamten als dessen Vertreter.

 

Damit tritt der Staatsanwalt – wenn man es überspitzt ausdrücken will - nicht einmal als eigenständiges Subjekt auf, er ist lediglich Vertreter seines Chefs und wie alle Vertreter ist er an die Weisungen des Vertretenen gebunden. Und Chefs hat der Staatsanwalt viele: der einfache Dezernent hat als unmittelbaren Vorgesetzen einen Abteilungsleiter – meist einen Oberstaatsanwalt –, Oberstaatsanwalt und Staatsanwalt haben als Chef einen Behördenleiter – mit dem Titel Leitender Oberstaatsanwalt -, der Behördenleiter ist den Weisungen des Generalstaatsanwaltes unterworfen und letztlich steht in der Hierarchie ganz oben der Justizminister. Er kann in jedem Einzelfall in die Arbeit des Staatsanwaltes eingreifen und dass er das tut belegen die aktuellen Ereignisse in Mönchengladbach. Hier hat die Justizministerin des Landes Nordrhein-Westfalen  den Leiter der Staatsanwalt Mönchengladbach vorübergehend aus seinem Amt abberufen und an das Ministerium versetzt.

 

Die richtige Antwort des Jurastudenten auf die o. gestellte Frage nach der Entscheidungsbefugnis über den Befangenheitsantrag muss somit lauten: der Leitende Oberstaatsanwalt.

 
Man muss also feststellen: Der einzelne Staatsanwalt ist nicht unabhängig. Der unterliegt den Weisungen des Staates.

 
Ausnahmen

Es gibt vereinzelte Durchbrechungen der vorangestellten Machtbefugnisse des Staatsanwaltes. So wird das o. a. Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft durchbrochen bei den Privatklagedelikten des § 374 StPO. Bei den dort aufgeführten Delikten mit zumeist kleinerem Unwertgehalt kann auch der Verletzte selber ohne Einschaltung der Staatsanwaltschaft die Klage erheben. Die Staatsanwaltschaft kann aber – wenn sie will – die Sache jederzeit übernehmen (§ 377 StPO). Große Bedeutung haben die Privatklagedelikte in der Praxis nicht.

Will der Staatsanwalt außerhalb des Anwendungsbereiches der Privatklagedelikte keine Anklage erheben, hat der Verletzte die Möglichkeit, die Staatsanwaltschaft zur Anklage zu zwingen. Er kann dann im sog. Klageerzwingungsverfahren (§§ 172 ff StPO) das Gericht anrufen, das dann die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung verpflichten kann. Die formellen Anforderungen für ein Klageerzwingungsverfahren sind hoch und ich rate jedem davon ab, diesen Weg zu gehen, es sei denn, er hat fundamentale Kenntnisse im Strafprozessrecht.

Hat die Staatsanwaltschaft einmal Anklage erhoben, kann sich der Verletzte in den in § 395 StPO genannten Fällen der öffentlichen Anklage als sog. Nebenkläger anschließen und damit selber Einfluss auf den Gang der Hauptverhandlung nehmen.

Diese Ausnahmen ändern aber nichts an der überragenden Bedeutung des Staatsanwaltes im Strafverfahren.


Kritik

Ich sehe die fehlende Unabhängigkeit des Staatsanwaltes von staatlichen Weisungen als sehr problematisch an. Mit guten Gründen sollen Richter nach unserem Grundgesetz unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sein (Art. 97 GG). Für den Staatsanwalt mit seiner dominierenden Rolle im Strafverfahren sollte nichts anderes gelten. Zu Recht fordern daher der Deutsche Richterbund und die Neue Richtervereinigung seit langem, dass auch die Staatsanwälte endlich diese Unabhängigkeit erhalten. Bislang sind die Politiker diesen Forderungen nicht nachgekommen. Gründe führen sie dafür nicht ins Feld. Man hat den Eindruck, dass die Politiker nur einen Abbau ihrer Macht fürchten und deshalb keine Veränderungen wollen. Geht man zurück auf die historischen Gründe, die seinerzeit zur Schaffung der Staatsanwaltschaften geführt haben, muss man feststellen, dass der Einfluss des Staates auf den Strafprozess über die Staatsanwaltschaft zugenommen hat. Das ist nun das Ergebnis der Revolution des Jahres 1848! Meines Wissens sind die Bürger seinerzeit auf die Straße gegangen, um die Allmacht des Staates zu begrenzen und mehr demokratische Freiheiten zu erreichen. Mit den vom Staat gelenkten Staatsanwaltschaften ist das Gegenteil erreicht worden.



*Norbert Schlepp ist Richter am Finanzgericht Niedersachsen



Anders als die herrschende Juristenmeinung glauben machen will, waren die Staatsanwälte von Anfang an ein Instrument der Regierenden, die früher wie heute damit ihre Machtinteressen durchsetzen wollen. Das ist das Ergebnis der Forschungen von Dr. Peter Collin in dem Artikel "Die Geburt der Staatsanwaltschaft in Preußen" vom März 2001 im Forum historiae iuris, siehe http://s6.rewi.hu-berlin.de/online/fhi/articles/0103collin.htm.

Daraus entnommen ist das folgende Zitat:
Die Staatsanwaltschaft war also weder ein "Kind der Revolution" noch ist ihre Einführung auf liberal-rechtsstaatliches Gedankengut zurückzuführen. Nahezu unbeeindruckt von der in der Literatur stattfindenden Reformdiskussion entwarf die Ministerialbürokratie eine Staatsanwaltschaft, die den Bedürfnissen der Regierung entsprach. Ihr ging es in erster Linie darum, eine Behörde zu schaffen, die ein Gegengewicht zu den als politisch unzuverlässig verdächtigten Gerichten darstellte, deren Tätigkeit initiierte, kontrollierte und wenn nötig korrigierte. Auf diese Weise, so hoffte man, könnten politische Zwecksetzungen im Strafverfahren ihre Berücksichtigung finden. Hinter dem "Wächter des Gesetzes" verbarg sich das
"Organ der Staatsregierung".



Der weisungsgebundene Staatsanwalt