Die
Finanz- und Wirtschaftskrise hat
auch den Verein CleanState beschäftigt, seitdem bekannt wurde,
dass
Politiker zur Rettung von „systemrelevanten“ Banken einen Blankoscheck
in Höhe von 480 Milliarden Euro (Garantierahmen des Sonderfonds
Finanzmarktstabilisierung (SoFFin)) ausgestellt haben, der bei
Einlösung lediglich durch den deutschen Steuerzahler gedeckt ist.
Die
Steuerzahler wurden dadurch zu Geiseln der Finanzwirtschaft und der
Finanzwirtschaft nahe stehenden Politikern gemacht. CleanState hat sich
frühzeitig mit der Frage beschäftigt, ob eine Sanierung
gefährdeter
Banken nicht auch durch gängige Sanierungsinstrumente und mit
weniger
Risiko für den Steuerzahler möglich wäre. Bei
Landesbanken wie der HSH
Nordbank stand der Anwendung gängiger Sanierungsinstrumente jedoch
die
Gewährträgerhaftung der Länder entgegen, welche bei der
HSH Nordbank
derzeit noch mehr als 50 Milliarden Euro beträgt.
Die Analyse des Geschäftsberichts 2008 der HSH Nordbank geriet
dadurch
verstärkt in den Fokus, dass die HSH eine der am stärksten
gefährdeten
Landesbanken ist, mit potentiell gravierenden Auswirkungen auf die
Haushalte der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein. Die HSH
Nordbank
konnte bereits in den Jahren 2008 und 2009 nur durch milliardenschwere
Kapitalspritzen der beiden Länder vor einer drohenden Insolvenz
gerettet werden. Darüber hinaus wurde Anfang Juni 2009 ein
Gutachten
der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG bekannt, in welchem die
Prüfer
ausführen:
„Die
Risikotragfähigkeit der HSH Nordbank ist nach dem von ihr
angewandten Modell zum 31.12.2008 faktisch nicht gegeben.“[1]
KPMG hat dem Konzernabschluss 2008 am 03.04.2009 ein
uneingeschränktes Testat erteilt.
Die HSH Nordbank weist im Konzernabschluss 2008 Vermögenswerte in
Höhe
von mehr als 54 Milliarden Euro aus, von denen rund 45 Milliarden Euro
nicht mehr auf einem aktiven Markt gehandelt werden und somit auch
nicht kurzfristig verkauft und in liquide Mittel gewandelt werden
können.
Die Aussagekraft von Abschlüssen nach IFRS/IAS bzw. deren
angebliche
Überlegenheit gegenüber dem in Deutschland bewährten HGB
mit seinem
Vorsichtsprinzip ist in der Fachwelt seit vielen Jahren umstritten.
Anhänger der IFRS sind vor allem die internationalen
Investmentbanker.
Für ihre Anlageentscheidungen benötigen sie Daten über
relevante
Zeitwerte vom Markt, den sog.
Fair-Value,
der in der Rechnungslegung
abgebildet werden soll. Am Fair-Value machte sich zuletzt jedoch unter
deutschen Finanzfachleuten Kritik breit.[2] So sind einige Experten der
Überzeugung, dass die Finanzmarktkrise durch das
Fair-Value-Prinzip
massiv verstärkt worden ist und es mit der „alten“ deutschen
HGB-Rechnungslegung diese Krise nie gegeben hätte.
Unter Rechnungslegungsexperten ist es ebenfalls unumstritten, dass dem
bilanzierenden Unternehmen bei der Festlegung der jeweiligen
Ausprägungsform des sog. Fair-Value - einem der zentralen
Paradigmen
der internationalen Rechnungslegungsstandards (IFRS) - ein verdecktes
Wahlrecht zur Verfügung steht und dabei ein nicht zu
unterschätzendes
Potenzial an Ermessensspielräumen existiert.[3] Diese zeichnen
sich
dadurch aus, dass
„dem
Bilanzierenden eine Bandbreite akzeptabler
Wertansätze eröffnet wird, die alle plausibel begründet
werden können
und auch vom Wirtschaftsprüfer akzeptiert werden müssen“.[4]
Der deutsche Bilanzexperte Prof. Karlheinz Küting, seit 1992
Leiter des
international renommierten Instituts für Wirtschaftsprüfung
an der
Universität Saarbrücken, gründete im vergangenen Jahr
die „Saarbrücker
Initiative gegen den Fair-Value“, um den Einzug der
Fair-Value-Konzeption im Rahmen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes
(BilMoG) in das deutsche Handelsrecht zu verhindern. Die Experten der
Initiative vertreten die Ansicht, dass die Fair-Value-Konzeption den
Objektivierungserfordernissen der Rechnungslegung widerspricht und
vielmehr zu einer Entobjektivierung der Bilanz führt. Die
Fair-Value-Konzeption erschwert zudem sowohl die Bilanzanalyse als
auch die Informationsversorgung der Bankenaufsichtsinstanzen.[5]
Durch die Fair-Value-Option ist es einer Bank sogar bei sinkender
Bonität möglich, das Ausmaß ihrer Verbindlichkeiten zu
einem
niedrigeren Wert anzusetzen und diese virtuelle Differenz als Ertrag zu
bilanzieren. Die Investmentbank Lehman Brothers verbuchte dadurch noch
wenige Tage vor ihrem Kollaps im September 2008 1,4 Milliarden Dollar
Gewinn dank eines Wertverlustes ihrer Verbindlichkeiten.[6] Auch die
Deutsche Bank nutzt die Möglichkeit, ihre eigenen
Verbindlichkeiten
unter Anwendung der Fair-Value-Option zu Marktwerten zu bilanzieren.
Hätte die Deutsche Bank im Geschäftsjahr 2008 die
Fair-Value-Option auf
alle begebenen verbrieften Verbindlichkeiten angewendet, hätte sie
zusätzliche Gewinne vor Steuern in Höhe von mehr als 5,5
Milliarden
Euro ausweisen können.[7]
Die Option ist ein Bewertungswahlrecht. Ihre Anwendung sowie ihre
Nichtanwendung entsprechen beide den Vorschriften der internationalen
Rechnungslegung (IFRS). KPMG, der Wirtschaftsprüfer der Deutschen
Bank,
hätte dem Abschluss der Deutschen Bank in beiden Fällen
bescheinigen
müssen, dass dieser nach IFRS ein den tatsächlichen
Verhältnissen
entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des
Unternehmens biete. Obwohl im genannten Beispiel der Deutschen Bank das
Ergebnis um mehr als 5,5 Milliarden Euro besser ausgefallen und die
Verbindlichkeiten um mehr als 5,5 Milliarden Euro geringer in der
Bilanz ausgewiesen worden wären, hat der Wirtschaftsprüfer
nur eine
mögliche Formulierung für das Testat.
CleanState wird die vorliegende Analyse dem Rechtsausschuss des
Deutschen Bundestages so-wie der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vorlegen, um auf die aufgezeigten
Mängel aufmerksam zu machen und auf die erforderlichen
Änderungen der
Bilanzierungsvorschriften hinzuwirken.
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[1] NDR Info exklusiv vom 06.07.2009, Vertrauliches
Gutachten: HSH agierte „nicht sachgerecht“,
http://www.ndrinfo.de/nachrichten/hshkpmg100.html
[2] Niehus, DB 18/2009, S. I, Farewell to Fair-Value – Zurück zum
Unternehmensinteresse
[3] Küting/Döge/Pfingsten, Zeitschrift für
internationale und
kapitalmarktorientierte Rechnungslegung (KoR) 2006, S. 597-612
[4] Küting in: Küting (Hrsg.), Saarbrücker Handbuch der
Betriebswirtschaftlichen Beratung, 3. Aufl. 2004, S. 594; vgl. hierzu
auch Sprißler/Hacker, in: Bieg/Heyd (Hrsg.), Fair Value 2005, S.
403
[5] Bieg/Bofinger/Küting/Kußmaul/Waschbusch/Weber, DB 2008,
S. 2549-2552
[6] manager-magazin.de vom 29.04.2009, Minus + Minus = Plus,
http://www.manager-magazin.de/geld/artikel/0,2828,621705,00.html
[7] Deutsche Bank, Jahresbericht 2008, S. 2,
http://www.deutsche-bank.de/ir/de/content/berichte_2008.htm